„Mit offenem Blick“ – Pissaro Ausstellung im Museum Barberini
Pissarro gilt als der Vater des Impressionismus. Er wurde 1830 auf St. Thomas (damals dänischer Besitz, heute Teil der Amerikanischen Jungferninseln) geboren. Seine frühen Erfahrungen und die Landschaften der Karibik prägten seine spätere Landschaftsmalerei. Mit 25 Jahren zog Pissaro nach Paris, um sich ganz der Kunst zu widmen. Dem Museum Barberini gelang es, eine einzigartige Schau seiner Werke zusammenzustellen, die mit Anfangswerken auf St. Thomas beginnen und neben den Landschaftsmalereien auch Städtebilder aus Paris zeigen.
Pissaro war unangepasst und neuen Bewegungen in der Kunstszene gegenüber offen eingestellt. Er hatte ein verbindendes Wesen. Cézanne betrachtete Pissaro als seinen Mentor und nannte ihn sogar den ersten Impressionisten. Auch zu Gaugin und van Gogh hatte er Verbindungen. Pissaro und Monet verband eine lebenslange Freundschaft.
Pissarro war der einzige Künstler, der an allen acht Impressionisten-Ausstellungen in Paris (von 1874 bis 1886) teilnahm. Das unterstreicht seine zentrale Rolle in der Bewegung.
In Frankreich lernte Pissaro seine Frau Julie Vellay kennen. Sie war eine Bedienstete seiner Eltern. Beide hatten acht Kinder, von denen jedoch zwei früh starben: eines bei der Geburt und eine Tochter namens Jeanne-Rachel (genannt „Minette“) im Alter von neun Jahren an Tuberkulose. In der Ausstellung sind Portrait seiner Tochter Minette zu sehen. Ein Bild zeigt sie, als sie noch gesund ist, ein weiteres, auf dem das Kind bereits von der Krankheit gezeichnet ist. Auch ein Selbstbildnis des Künstlers und ein Portrait seiner Frau befinden sich in diesem Raum.
Pissarro war ein überzeugter Verfechter der anarchistischen Philosophie. Er stellte sich eine utopische Gesellschaft vor, die auf kleinen, autonomen Gemeinschaften basierte, in denen Menschen durch gemeinsame Arbeit und soziale Integration verbunden sind. Er glaubte an die Gleichheit der Klassen und daran, dass das volle menschliche Potenzial nur ohne die Einmischung von Regierung und Aristokratie erreicht werden kann. Seine anarchistischen Überzeugungen spiegelten sich direkt in seiner Kunst wider. Während viele Künstler der Zeit sich auf historische, mythologische oder bürgerliche Motive konzentrierten, widmete Pissarro seine Aufmerksamkeit oft ländlichen Szenen und dem Leben der Bauern und Arbeiter. Er stellte diese Menschen nicht als ungebildet oder grob dar, sondern mit Würde und Respekt, was zu dieser Zeit revolutionär war. Er wollte die „niedrigen“ Erfahrungen als würdige Themen für die hohe Kunst legitimieren.
Interessant ist auch ein Skizzenbuch, das er für eine Nichte gezeichnet hatte. Es enthält gesellschaftskritische Skizzen, die die Themen Armut, Hunger, Trunkenheit, Arbeitsunfälle, Selbstmord u.a. behandeln.
Als Avantgarde-Künstler war er von der bürgerlichen Gesellschaft angewidert und weigerte sich, Autorität anzuerkennen. Er sah in der Kunst selbst einen Akt des Aufstands gegen den bürgerlichen Geschmack und die etablierten Normen. Pissaro konzentrierte sich auf die Darstellung des einfachen Volkes und ländlicher Szenen, ohne Künstlichkeit oder Prunk. Er glaubte an die Schönheit in bescheidenen Dingen, wo andere nichts sahen. Ein Bild der Ausstellung zeigt jedoch ein gutbürgerliches Haus „Der Garten von Les Mathurins in Pontoise“. Im Garten steht eine Frau. Hierbei soll es sich um Maria Deraismes handeln, eine Schriftstellerin und Freidenkerin, die sich für Frauenrechte einsetzte. Mit dieser Einstellung sympathisierte Pissaro.
Obwohl Camille Pissarro hauptsächlich für seine ländlichen Landschaften und Szenen von arbeitenden Bauern bekannt ist, begann er gegen Ende seiner Karriere intensiv mit der Städtemalerei, insbesondere ab den 1890er Jahren.
Der Hauptgrund für diesen Wechsel war gesundheitlicher Natur: Pissarro litt in seinen späteren Jahren an einer chronischen Augenentzündung, die es ihm unmöglich machte, im Freien zu malen, da Staub und Wind seine Augen reizten. Aus diesem Grund musste er sich darauf beschränken, von einem Fenster aus zu malen
Das Barberini zeigt im letzten Raum der Ausstellung Städtebilder und auch hier beeindrucken die alltäglichen Details, die er beobachtete und in seine Bilder einbaute: ein Stau auf der Straße, ein Pissoir am Hafen. Es gelang ihm, in seinen Bildern die Atmosphäre der Stadt, das pulsierende Leben, Bewegung und Geschäftigkeit einzufangen.
Die Ausstellung im Museum Barberini ist in Zusammenarbeit mit dem Denver Art Museum entstanden. Beide Museen besitzen jeweils sieben eigene Bilder von Pissaro. Für diese umfassende Ausstellung gelang es über 100 Leihgaben von anderen Museen und Privatsammlungen weltweit azu akquiriern. Zu den Leihgebern gehören das Art Institute of Chicago, das J. Paul Getty Museum, Los Angeles, das Clark Art Institute, Williamstown, das Philadelphia Museum of Art, die National Gallery Washington und das Metropolitan Museum of Art, New York. Zu den weiteren internationalen Leihgebern gehören das Van Gogh Museum, Amsterdam, das Musée d’Orsay, Paris, Ordrupgaard, Kopenhagen, das Szépművészeti Múzeum, Budapest, das Courtauld und die National Gallery, London, sowie die Gallery of Ontario, Toronto. Die Ausstellung im Museum Barberini bietet die einzigartige Gelegenheit, alle diese Biilder, die über zwei Etagen in sieben Räume aufgegliedert wurden, zu betrachten.
Museum Barberini
Alter Markt
Humboldtstraße 5–6
14467 Potsdam
Öffnungszeiten. Mo, Mi–So: 10–19 Uhr Dienstags geschlossen